Landkreis Leipzig: Analog-digital in der kulturellen Bildung
Die Stärkung von Bildung in einer von der Digitalisierung geprägten Welt ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Auf kommunaler Ebene sind daher alle Bildungsakteure gefragt, damit die Bürgerinnen und Bürger die Chancen und Potenziale digitaler Bildung optimal nutzen können. Akteure der kulturellen Bildung spielen dabei eine ganz besondere Rolle, haben sie doch die Möglichkeit, die Digitalisierung und die Veränderungen, die sie mit sich bringt, auf kreative Weise erfahrbar und erlebbar zu machen. Sie fördern dabei gezielt Kompetenzen, die die Bürgerinnen und Bürger benötigen, um sich souverän in einer digital geprägten Welt zu bewegen.
Dieser großen Herausforderung stellt sich auch der Verein Schweizerhaus Püchau. Seit 2010 ist er als gemeinnütziger Kunst- und Kulturverein im Landkreis Leipzig und Nordsachsen aktiv, um künstlerische, kulturelle und demokratische Bildungsangebote anzubieten, umzusetzen und Räume in der ländlichen Region für sie zu schaffen. Mit dem Projekt Land Labor schafft das Schweizerhaus Püchau seit 2021 in Kooperation mit der Gemeinde Thallwitz Angebote zur Förderung digitaler Kompetenzen für alle Generationen im Wurzener Land. In Workshops und Kursen können Kinder, Jugendliche und Erwachsene ihre digitalen Kompetenzen erweitern und setzen das erlangte Wissen praxisorientiert ein.
In der Session zu Kultureller Bildung anlässlich der Statuskonferenz der Transferagentur Bayern am 23. Juni 2022 in München, berichtet Leonore Kasper, künstlerische Leitung, über die Arbeit des Vereins und das Projekt Land Labor. Die Transferagentur Bayern hat im Nachgang dazu ein ausführliches Interview geführt.
Leonore Kasper: Unseren medienpädagogischen Bereich bauen wir sukzessive seit 2015 auf. Digitale Medien sind aus der Lebenswelt von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen einfach nicht mehr wegzudenken – darauf wollten und mussten wir reagieren. Inzwischen verfügen wir über viele verschiedene Projekte, die wir auch mobil bei uns in der Region und insbesondere im ländlichen Raum anbieten. Sie verbinden das Analoge mit dem Digitalen und fördern so gezielt wichtige Zukunftskompetenzen: Angefangen haben wir mit Filmworkshops. Hier lernen die Kinder natürlich die ganze Technik kennen, entwickeln aber auch im Team die Idee für den Clip oder Kurzfilm, der dann auch gemeinsam produziert wird.
Oder unser Rap Projekt, in dem die Teilnehmenden ihre eigenen Texte schreiben, dazu Melodie und Rhythmus finden, sich an Instrumenten und Drumcomputer ausprobieren und einen fertigen Song mit nachhause nehmen. Diese Projekte sind für die Jugendlichen unglaublich wertvoll. Neben dem technischen Wissen fördern sie zum Beispiel Kollaboration und Kommunikation, es geht um Körpersprache, Ausdrucksfähigkeit, Konzentration oder Sprechkompetenz.
Die Idee für Land Labor haben wir auf der Grundlage der Erfahrungen entwickelt, die wir während der Pandemie gesammelt haben. In dieser Zeit haben wir, wie alle anderen auch, Angebote entwickelt, die auf Distanz, also im digitalen Raum, stattfanden. Da haben wir einiges ausprobiert. Wir haben aber deutlich gemerkt, wo die Grenzen lagen - sowohl im Hinblick auf die erforderlichen Kompetenzen der Jugendlichen aber auch was die Arbeit in Gruppen auf Distanz anbelangt. Mit Land Labor wollen wir jetzt drei Jahre lang erproben, wie wir gezielt digitale Kompetenzen fördern und dafür die sozialen Medien nutzen. Wir arbeiten dabei mit TikTok oder Instagram um uns nah an der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen zu orientieren.
Unser Angebot richtet sich in der ersten Phase des Projektes an Schulen, genauer gesagt an den Ganztag. Um passende Angebote für die Schulen zu entwickeln und den Wünschen der Kinder und Jugendlichen zu entsprechen, haben wir an sieben Schulen unter den Jahrgangsstufen drei bis zehn Umfragen durchgeführt. Zum Beispiel interessierte uns, welche digitalen Kompetenzen bestehen, welche Geräte und Apps genutzt werden und zu welchem Zweck. Aber auch welche Themen sie im Zusammenhang mit ihrem "digitalen Leben" beschäftigen. Zum Beispiel haben sie angegeben, dass es ihnen schwerfällt, von bestimmten Apps loszukommen oder dass es zuhause viel Streit wegen der Nutzung von mobilen Endgeräten gibt. Diese Erkenntnisse können wir nutzen, um in einem nächsten Schritt auch Angebote für Erwachsene, insbesondere für Eltern, zu entwickeln.
Wir wollen Wissen und Kompetenzen so anschaulich wie möglich erklären. Wir entwickeln unsere Projekte so, dass Inhalte erfahrbar werden und man direkt ausprobieren kann, wie etwas funktioniert. Ich verdeutliche das an einem Beispiel: In der Arbeit mit sozialen Medien spielen natürlich Algorithmen immer eine große Rolle. Und nicht nur für Kinder und Jugendliche ist es schwer vorstellbar, wie ein Algorithmus funktioniert. Aber wenn man mit theaterpädagogischen Methoden nachfühlen kann, welche Mechanismen ablaufen, fällt es viel leichter nachzuvollziehen, wie ein Algorithmus arbeitet. Und damit, was gut oder auch schlecht daran sein kann. In unserer Projektarbeit machen wir das mit Hilfe des Stille Post Prinzips.
Weiterhin ist es uns sehr wichtig, unsere Projekte gemeinsam mit der Zielgruppe zu entwickeln. Daher unterlaufen all unsere Projekte einer Testphase, in der wir unsere Ideen gemeinsam mit den Jugendlichen ausprobieren und weiterentwickeln. Kinder und Jugendliche verfügen über ganz viel Wissen was digitale Medien anbelangt und sind damit auf gewisse Weise selbst Experteninnen und Experten. Im Rahmen von Land Labor sind so inzwischen fünf Projekte entwickelt worden, zum Beispiel ein Social Media Workshop, in dem die Teilnehmenden selbst Beiträge recherchieren, produzieren und dann auf TikTok hochladen. Oder ein Grafikdesign-Workshop, in dem Emojis entwickelt werden und bei dem es um Grafik, Malerei, Fotografie, Identität und die Auseinandersetzung mit Gefühlen geht.
Wir müssen immer ganz genau überlegen, was für uns als kleinen Verein leistbar ist und was nicht. Zum Glück besteht durch unsere Arbeit der letzten Jahre bereits ein guter Kontakt zu den Schulen in der Region – in den Aufbau unseres Netzwerkes haben wir in den vergangenen Jahren viel Arbeit und Energie gesteckt.
Wirklich herausfordernd ist für uns die Akquise von Honorarkräften und Dozentinnen bzw. Dozenten für die Workshops, um unser Angebot langfristig aufrechterhalten zu können. Dozentinnen oder Dozenten im Bereich der Medienpädagogik finden sich nicht so leicht auf dem Land, sondern eher in großen Städten wie Dresden, Berlin und Leipzig. Und das ist für ein wöchentliches Angebot, zum Beispiel im Rahmen des Ganztags, natürlich ein viel zu weiter Anfahrtsweg. In diesem Jahr wollen wir deshalb damit beginnen für interessierte Menschen in der Region Möglichkeiten zu schaffen sich gezielt weiterzubilden. Dafür haben wir die Land Labor Fellowship geschaffen: Menschen können in Projekten Techniken und Methoden aus Kunst, Design und Medien erlernen und ihr Wissen in Workshops weitergeben.
Auch hier müssen wir jetzt erproben, wie uns die Digitalisierung unterstützten kann, was sich gut online umsetzen lässt und wann der physische Kontakt einfach unersetzlich ist.
Zwei Dinge waren für uns unglaublich wichtig: Zum einen die Zusammenarbeit mit wichtigen Kooperationspartnern wie die kommunale Verwaltung, kreisangehörige Kommunen und die Schulen selbst. Sie können einen bei der Umsetzung unterstützen, indem sie zum Beispiel Räume oder ihr Netzwerk zur Verfügung stellen. Wichtig ist auch die Kooperation mit anderen Bildungsakteuren und Anbietern, damit man Synergien sinnvoll nutzt.
Zum anderen kann ich den engen Einbezug der Zielgruppen bei der Entwicklung von Angeboten sehr empfehlen. Das muss nicht unbedingt eine große Umfrage sein. Denkbar wäre nur eine Klasse zu befragen oder gemeinsam in einer Gruppe mit den Kids Projekte zu entwickeln. Wichtig ist einfach, dass man weiß, was die Zielgruppe bewegt, und welche Themen sie haben. Denn wenn Angebot und Nachfrage nicht zusammenpassen, ist ein Projekt von Beginn an zum Scheitern verurteilt.
Gerade wenn man auf die Beteiligung der Zivilgesellschaft und auf die Mitarbeit von Vereinen setzt, um großen Herausforderungen wie den digitalen Wandel oder auch der Umsetzung des Ganztagsanspruchs zu bewältigen, sind die Wertschätzung und Anerkennung ihrer Arbeit unglaublich wichtig. Es ist wichtig, dass man als Kommune den Akteuren den Raum gibt und Mut macht, neue und kreative Wege einzuschlagen oder neue Formate auszuprobieren. Da muss auch mal was schiefgehen dürfen. Wenn es ein echtes Miteinander gibt und alle am selben Strang ziehen, können in den Kommunen moderne Bildungslandschaften entstehen.
Weitere Informationen:
Das Interview führte: Regionalbüro Nord der Transferagentur Bayern
Fotos: Schweizerhaus Püchau